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IT-Voraussetzungen für die papierlose Arbeit: Die drei Evolutionsstufen der digitalen Kanzlei

Die papierlose Kanzlei: Nachhaltige Effizienzsteigerung durch papierarme und digitale Prozesse - ein Fachbeitrag von Dipl.-Kfm. Holger Esseling

Spätestens seit Einführung der aktiven beA-Nutzungspflicht ist die rein analoge Anwaltskanzlei Geschichte. Manche Berufsträger und Berufsträgerinnen haben sich aus diesem Grund bereits vorzeitig in den Ruhestand verabschiedet – alle anderen haben papierlose elektronische Arbeitsweisen in ihre Kanzlei eingeführt. Dabei begreifen manche diese Veränderungen als lästige Notwendigkeit, andere als Chance zur Vereinfachung und Flexibilisierung der Kanzleiarbeit. In der Praxis kristallisieren sich drei grundlegende Evolutionsstufen heraus, in denen jeweils verschiedene Ziele verfolgt werden. Entsprechend unterschiedlich sind die Anforderungen an die Kanzlei-IT, die im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden.

Stufe I: Die Kanzlei-IT soll einfach laufen

Auf der ersten Stufe werden die etablierten Kanzleiabläufe so wenig wie möglich verändert. Die Papierakte bleibt das führende Werkzeug, es wird lokal in den Kanzleiräumlichkeiten gearbeitet. Informationstechnologie, Hard- und Software sollen die grundlegenden Prozesse wie Akten- und Adressverwaltung unterstützen, möglichst wenig kosten und vor allem störungsfrei laufen. Hier wird dementsprechend nur das Notwendigste getan, um den aktuellen Anforderungen zu entsprechen. Zumal den zusätzlichen Kosten kaum ein Nutzen gegenübersteht, wenn neben elektronischen Dokumenten noch vollständige Papierakten geführt werden. Das Fundament: IT-Infrastruktur und Kanzleisoftware Das Fundament einer jeden Kanzlei-IT besteht aus einer sicheren und verfügbaren Infrastruktur sowie einer bestmöglich passenden Kanzleisoftware. Die Infrastruktur ist dabei abhängig von der Kanzleigröße und den gewünschten Erweiterungsmöglichkeiten. Eine Einzelanwältin, die auch mittelfristig ohne Mitarbeitende und Partner arbeiten möchte, kann durchaus erfolgreich mit einem Notebook arbeiten, das sich am Arbeitsplatz über eine Dockingstation in einen vollwertigen Arbeitsplatz verwandelt. Kommt eine weitere Person hinzu, ist ein zentraler Datenspeicher notwendig, auf den beide über ein Netzwerk zugreifen können. Dies kann im einfachsten Fall ein geteilter Netzwerkordner auf einem PC oder Notebook sein, eine NAS-Station oder ein vollwertiger Server, der ab ungefähr vier Arbeitsplätzen erfahrungsgemäß notwendig wird. Die Ausgestaltung des Servers hängt dabei wesentlich von der Zielsetzung ab, die zuvor in einem Kanzleihandbuch und einem grundlegenden IT-Konzept entwickelt worden sein sollte. Wird vorwiegend in den Kanzleiräumen gearbeitet, ist ein Fileserver die günstigste Möglichkeit. Soll auch mobil auf die Daten zugegriffen werden, lohnt sich häufig der Aufbau eines Terminalservers. Wer zudem mit der Kanzlei-IT so wenig wie möglich zu tun haben möchte, lagert den Betrieb in ein Anwaltsrechenzentrum aus oder nutzt Software-as-a-Service-Dienste. Hierauf wird in den folgenden Stufen noch näher eingegangen. Auch die Wahl der Kanzleisoftware wird stark von den Zielen und der Arbeitsweise der Kanzlei beeinflusst. Die Verwaltung von Akten, Adressen und Dokumenten bietet jede Kanzleisoftware – selbst kostenlose Open Source-Lösungen stehen hierfür zur Verfügung. Es lohnt sich jedoch, gleich zu Beginn zu berücksichtigen, wie entwicklungsfähig die Lösung ist, wer bei Problemen schnell und kompetent unterstützt und ob das bestehende oder zukünftige Personal die Software bereits kennt oder vollständig neu eingearbeitet werden muss. IT-Sicherheit: Mindestanforderungen und weitere Möglichkeiten Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen in der IT-Sicherheit – und wie die Gefahrenquellen nehmen auch die Angebote an Abwehrmaßnahmen stetig zu. Dabei verliert mancher Anwender den Überblick und bekommt nicht ganz zu Unrecht das Gefühl: 100 Prozent Sicherheit gibt es eh nicht. Mit dem richtigen Fokus ist es allerdings möglich, sich gezielt gegen die wichtigsten Gefahren zu wehren. Allen voran ist eine professionelle Datensicherung (siehe unten) ein Muss für jede Kanzlei.

Darüber hinaus sollten einige Punkte beachtet werden, die in der Regel von einem professionellen IT-Dienstleister mit Erfahrung in Anwaltskanzleien begleitet werden:

  • Antivirus-Lösungen und das zeitnahe Einspielen aller Sicherheitsupdates sollten mittlerweile ebenso zum Standard gehören wie eine professionell betriebene Firewall.

  • Weiterhin wichtig sind und oft vergessen werden die regelmäßige Sensibilisierung und Schulung von Mitarbeitenden.

  • Darüber hinaus sollte die Einhaltung von Datenschutzstandards regelmäßig auditiert werden. In der Kommunikation mit Gerichten und dem Kanzleiteam hat das beA große Verbesserungen gebracht.

Die Mandantenkommunikation erfolgt jedoch noch immer unverschlüsselt oder über die Transportverschlüsselung TLS. Wer seine Kommunikationsdaten wirklich schützen möchte, sollte über zertifikatsbasierte Verschlüsselung oder die Nutzung von verschlüsselten Webportalen nachdenken. Datensicherung: Keine Kompromisse Es gibt eine Sache in der Kanzlei-IT, die einfach nicht passieren darf: Datenverlust. Daher ist Datensicherung die mit Abstand wichtigste Maßnahme der IT-Sicherheit. Hier dürfen schlicht keine Fehler gemacht werden und es muss mit absoluter Sicherheit gewährleistet werden, dass sich die Daten wiederherstellen lassen. Hierzu muss regelmäßig eine Rekonstruktionsübung durchgeführt werden: Nur wenn Sie den Notfall wirklich erproben, wissen Sie, ob und innerhalb welchen Zeitraums Ihre Daten wiederhergestellt werden können. Darüber hinaus sollte die Datensicherung an mehreren Orten, verschlüsselt, automatisiert und in mehreren Generationen mit regelmäßigen Archiven erfolgen. Transportmedien wie USB-Sticks und Wechselfestplatten sind als Sicherungsziel nicht so gut geeignet wie NAS-Stationen oder Ziele in einem Rechenzentrum. Alle Regelungen sollten zwingend in einem Datensicherungsund Notfallplan festgehalten werden. Scanner und notwendige Peripheriegeräte Mit dem Scan beginnt der gesamte Digitalisierungsprozess in der Anwaltskanzlei. Neben den Prozessen muss dabei auch die richtige Hard- und Software beschafft und konfiguriert werden. Die wichtigsten Anforderungen an einen Dokumentenscanner sind dabei:

  • Stapelscan: Der Scanner sollte in der Lage sein, mithilfe von Trennblättern oder Barcodes verschiedene Dokumente voneinander zu trennen und am besten auch noch Hauptdokumente von Anlagen zu unterscheiden.

  • OCR-Texterkennung: Hierfür gibt es verschiedene Softwareanwendungen, die entweder dem Dokumentenscanner bereits beiliegen oder separat auf dem Server betrieben werden können.

  • Geringe Dateigröße: Während Multifunktionsgeräte meistens sehr große tiff-Dateien erstellen, geben Dokumentenscanner in der Regel platzsparend PDF/A-Dateien aus.

  • Keine Behinderung des Kanzleiablaufs: Um Engstellen in der Kanzlei zu vermeiden, sollte der Dokumentenscanner möglichst am Arbeitsplatz betrieben werden.

Die meisten darüber hinaus notwendigen Geräte sind seit der beA-Einführung in jeder Kanzlei vorhanden. Kartenlesegeräte mit Ziffernblock, zwei gleiche Monitore an jedem Arbeitsplatz und eine ausreichende Anzahl an Diktiergeräten ermöglichen einen reibungslosen Start in die elektronische Aktenbearbeitung. Anbindung des beA an die Kanzleisoftware Eine wichtige Voraussetzung ist in vielen Anwaltskanzleien noch nicht hinreichend umgesetzt: Das beA sollte nahtlos in die Kanzleisoftware integriert sein. Posteingänge werden direkt weitergeleitet und Postausgänge aus der Anwendung heraus über das beA versendet. Die Nutzung der Weboberfläche des beA ist mit viel Kopierarbeit verbunden und sollte nur im Notfall eingesetzt werden. Der Standard ist die nahtlose Integration in die Kanzleisoftware.

Stufe II: Ich möchte mobil und digital arbeiten

Spätestens seit der Corona-Pandemie gehen viele Kanzleien über die Grundanforderungen der Stufe I hinaus. Sie möchten den entscheidenden Schritt zur führenden elektronischen Akte machen, um mobil und aus dem Homeoffice heraus zu arbeiten. Hierfür sind einige weitere IT-Voraussetzungen zu schaffen. Remote Desktop Infrastruktur oder SaaS Für die mobile Arbeit ist ein Fernzugriff auf den Server notwendig. Die Einbindung von Fileservern oder NAS-Stationen über einen VPN-Client ist dabei eine Notlösung. Komfortables Arbeiten wird durch Terminalserver ermöglicht, die für jede anwendende Person einen vollständigen Arbeitsplatz auf dem Server bereitstellen. Ob diese Systeme in der Kanzlei oder in einem Anwaltsrechenzentrum betrieben werden, ist wieder eine Frage der eigenen Zielsetzungen. Wer möglichst wenig mit der IT zu tun haben möchte, lagert die Betriebsverantwortung aus. Einen Sonderfall stellt hierbei die Nutzung von Software as a Service (SaaS) dar: Die Kanzleisoftware wird direkt aus dem Browser heraus bedient, alle Daten liegen auf dem Server der Dienstanbieter. Noch bieten viele SaaS-Dienste jedoch einen vergleichsweise geringen Funktionsumfang. Das Angebot wird sich sicherlich in den nächsten Jahren vergrößern. Manche Fachleute sind jedoch der Ansicht, dass der überwiegende Teil der Datenverarbeitung noch viele Jahre vor Ort in den Kanzleien verbleiben wird. Elektronischer Dokumentenworkflow Ein wesentlicher Baustein für die papierlose Kanzleiarbeit ist die Gestaltung der elektronischen Akte in der Kanzleisoftware. Sie sollte nicht nur Dokumente anzeigen, sondern einen elektronischen Dokumentenworkflow bieten. So kann der bisherige analoge Kanzleiablauf digital abgebildet werden: Dokumente kommen im Posteingang an, werden verschlagwortet, Fristen werden notiert und die Dokumente werden an die entsprechende Sachbearbeiterin bzw. den Sachbearbeiter weitergeleitet. Dann können Notizen hinzugefügt, Verfügungen erstellt und diktiert werden. Im Anschluss kann das Dokument zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet werden. Nach Erstellung entsprechender Schriftsätze landen die ausgehenden Dokumente im Postausgang und können nahtlos über verschiedene Kommunikationswege versendet werden. Der elektronische Workflow sollte viele Individualisierungsmöglichkeiten bieten und sorgfältig vorbereitet werden. Hierzu sind in der Regel umfangreiche Schulungen und Workshops sinnvoll und notwendig. Mobile Apps zur Kanzleiarbeit Das Smartphone ist längst zum zentralen Informations- und Kommunikationselement des privaten Lebens geworden. Im Zuge der Kanzlei-Digitalisierung liegt es nahe, auch dieses Werkzeug einzusetzen. Die gängigsten Apps für den Kanzleialltag betreffen zunächst E-Mails und Kalender. Diese Informationen sollten mit den Standarddiensten synchronisiert werden oder über spezielle Apps der Kanzleisoftwarehersteller eingebunden werden. Darüber hinaus nutzen manche Berufsträgerinnen und Berufsträger Smartphone-Apps für das digitale Diktat – andere sehen hierin eine Gefahr für die Verschwiegenheitspflicht. Der Vollzugriff auf Akten und Dokumente ist in der Regel auf dem Smartphone nicht wichtig, umso mehr jedoch auf einem Tablet. Die meisten Anbieter von Kanzleisoftware bieten entsprechende Apps zum Lesen oder digitalen Bearbeiten von Mandatsinformationen. Sinnvoll sind darüber hinaus Apps, die jederzeit Zugriff auf wichtige Informationen geben, zum Beispiel Prozesskostenrechner, um gleich bei Gericht die Kosten einer Entscheidung beziffern zu können, oder Apps mit Gesetzen und Kommentaren.

Stufe III: Ich möchte Tätigkeiten automatisieren oder auslagern

Immer mehr Kanzleien erkennen, dass die reine Digitalisierung von Dokumenten noch keinen großen Nutzen bringt. Wenn jedoch alle Informationen elektronisch vorliegen, lässt sich auf dieser Basis etwas Neues schaffen: Die Automatisierung von Kanzleiabläufen. Hinzu kommen weitere Möglichkeiten der Kommunikation zu Mandaten und Mandantinnen und mit weiteren Beteiligten. Automatisierung von Kanzleiabläufen Viele Arbeitsschritte in Anwaltskanzleien eignen sich sehr gut für die Automatisierung. Insbesondere wenn es sich um repetitive Tätigkeiten handelt, werden sie in den nächsten Jahren zunehmend an Maschinen delegiert. Auf der einen Seite bieten die Hersteller von Kanzleisoftware selber zunehmend Lösungen an, beispielsweise für die automatische Aktenanlage auf Basis eines Webformulars. Auf der anderen Seite kommen immer mehr Anwendungen zur Robotic Process Automation (RPA) auf den Markt. Mithilfe dieser Lösungen kann softwareunabhängig Benutzerverhalten nachgebildet werden. Insbesondere bei der Erstellung von Schriftstücken, Verträgen und Berechnungen, aber auch bei der Anlage von Akten und Adressen und weiteren Tätigkeiten gibt es ein großes Potenzial für Einsparungen. Digitale Kommunikation Die Corona-Pandemie hat die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, deutlich verändert. Videokonferenzen sind heute selbstverständlich und werden auch von Anwaltskanzleien zunehmend für neue Geschäftsmodelle oder einfach nur zur effizienteren Mandatsbearbeitung genutzt. Dabei kommen neue Lösungen auf den Markt, die beispielsweise Bezahlfunktionen integrieren, sodass Beratungsgespräche gleich zu Beginn entgolten werden können. Auch die schriftliche Kommunikation mit verschiedenen Ansprechpartnern verändert sich zunehmend. Anfragen an Versicherer werden beispielsweise immer häufiger über Schnittstellen direkt aus der Kanzleisoftware gestellt – was wiederum die Automatisierung dieses Prozesses ermöglicht. Mit Gerichten und Mandanten und Mandantinnen wird ebenfalls direkt aus der Kanzleisoftware heraus über beA kommuniziert. Die Mandantenkommunikation erfolgt zunehmend über E-Mail, was jedoch umso effektiver wird, je besser das Mailsystem in die Kanzleisoftware eingebunden ist. So können Dokumente direkt aus der Software heraus angehängt werden und die E-Mails werden direkt in der zugehörigen E-Akte gespeichert. Fazit: Stufenweise zu mehr Digitalisierung und Papierlosigkeit Die Digitalisierung einer Anwaltskanzlei stellt einige Herausforderungen an die Hardund Software sowie die Kanzleiabläufe. Sie bietet allerdings auch neue Möglichkeiten der Vereinfachung und Automatisierung von Prozessen. Auf jeder Stufe der Kanzleidigitalisierung ist ein erfolgreicher Kanzleibetrieb möglich. Die Grundlage bilden eine zuverlässige IT-Infrastruktur und eine professionelle Kanzleisoftware. Auf dieser Basis lassen sich modulweise neue Funktionen hinzufügen, um mobiler, effizienter und papierloser zu arbeiten.

Die drei Stufen papierloser Kanzleiarbeit im Überblick

Stufe I: Die Kanzlei-IT soll einfach laufen Abläufe werden so wenig wie möglich verändert, die Papierakte bleibt das führende Werkzeug, es wird lokal in den Kanzleiräumlichkeiten gearbeitet.

Stufe II: Ich möchte mobil und digital arbeiten Elektronische Akte wird führendes Werkzeug, es wird mobil und aus dem Homeoffice gearbeitet

Stufe III: Ich möchte Tätigkeiten automatisieren oder auslagern Alle Informationen liegen elektronisch vor, Prozesse wie die Mandatsannahme können automatisiert werden.

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